Uta Heinecke: „Ich habe nie mit Puppen gespielt“

Meine Inspiration für diese Serie war eine Ausstellung im Pariser Museum Maison Rouge im Jahr 2017: „Black dolls, collection Deborah Neff“. Gezeigt wurden historische, schwarze Puppen, die zwischen 1900 und 1950 entstanden sind. Oft wurden sie von farbigen Nannys für die von ihnen betreuten (weißen) Kinder genäht. Es waren alles Unikate.

Die Puppen der Sammlung waren nicht, wie heute üblich Babys, sondern Menschen aller Altersstufen. So kann das Spiel mit den Puppen nicht (nur) als eine Konditionierung von Mädchen auf ihre spätere Rolle als Mutter verstanden werden.
Es gab junge und alte Frauenpuppen, männliche Puppen, fröhliche, traurige, hässliche… die gesamte damalige Gesellschaft schien in der Sammlung vertreten zu sein. Viele Puppen wirkten sehr lebendig, als ob sie gerade tanzen würden oder aus der Werkstatt kämen….
Vielleicht war es das was diese Ausstellung so besonders und inspirierend gemacht hat.

Ich selbst habe nie mit Puppen gespielt. Es ist insofern das erste Mal, dass ich mich ihnen annähere. Sie haben mich gefangen genommen mit ihrer Ästhetik, ihren historischen Kleidern, ihrer Lebensechtheit, der handwerklichen Qualität oder auch den Unzulänglich keiten ihrer Ausführung und der darin innewohnenden Privat heit.

Die Puppen in meinen Arbeiten sind Stellvertreter, wie auch ihr Vorgänger: die Ziegen, die Sessel, die Hunde… Man kann mit den Puppen leichter Geschichten erzählen, Gedanken, Beziehungen oder Gefühle zum Ausdruck bringen oder Kritik üben, als es mit realen Personen möglich wäre. So gab es auch in der „Ziegenphase“ den Sündenbock oder ein Unschuldslamm…

Die Puppen sagen sehr viel über die Zeit und über die Gesellschaft dieser Zeit aus.
In meinen Bildern wecken sie neue Assoziationen, zum Thema Flüchtlinge und Migration, , zu Fragen der Gleichberechtigung in der heutigen Gesellschaft…
Manche Menschen denken auch an Voodoo, viele an ihre eigene Kindheit. Oft verweisen auch die Titel in die Kindheit, wie „Hänsel und Gretel“, weil sie aus Märchen entlehnt wurden.
Meine Interpretationen, meine Übertragung auf die heutige Gesellschaft soll allgemeingültig sein, kann zwar als eher sanfte Gesellschaftskritik zu verstehen sein, soll aber auch von den Beziehungen der dargestellten Protagonisten untereinander leben und es soll eigene Assoziationen wecken. Und es soll vor allem einfach gute Malerei sein.

Genauso, wie die Puppen aus gefundenem Material gemacht worden sind, habe ich bei vielen Leinwänden auf mehrfarbigen Grundierungen, auf Mustern oder auf älteren, halbfertigen oder übermalten Bildern gearbeitet, welche das Bild verfremden, eine Materialhaftigkeit hinzufügen, das „Gefundene / Zufällige“ wiedergeben… so wie es bei den Puppen der verwendete Stoff war…

Manche Köpfe sehen niedlich aus oder lustig, manchmal fehlen den Puppen die Köpfe.
Oft finden sich auf den Bildern Reifenspuren, die Puppen oder ihre Köpfe sind überrollt, überfahren. Vielleicht ist es ein Zeichen unserer Zeit, vielleicht nur ein Muster als Stoff für die Kleider… Die Bewegungen der Puppen sind überzeichnet, ausdrucksstark. Sie reden zu uns. Sinnbildlich verkörpern sie das Ungesagte, das vielleicht Unsagbare.
Was haben sich die weißen Kinder gedacht, als mit den schwarzen Puppen gespielt haben?
Waren die Puppen Freunde oder waren sie „Nigger“? Im Begleittext zur Ausstellung stand, dass die farbigen Kinder die weißen Puppen lieber hatten…

Vielleicht werfen die Bilder der Puppenserie mehr Fragen auf, als sie beantworten. Und das ist gut so.