Marielis Seyler: [Lebens]fragmentismen

Die Auseinandersetzung mit Frauenbildern („Madonnen“), mit dem Kindsein, mit Freundschaft und mit dem Fremden, Anderen sind wiederkehrende Aspekte ihrer Werke. Wie sehr ihr dabei die Nähe und das sehr persönliche Eingehen der Betrachter auf ihre Arbeiten ein Anliegen ist und buchstäblich wird, zeigt sich insbesondere bei den so genannten „Trampel- und Open Airbildern“: Großformatige Photoabzüge werden in geschlossenen oder öffentlichen Räumen derart auf dem Boden positioniert, dass es für den Besucher fast unabdingbar ist, auf diesen Bildern herum zu gehen – von der Scheu bis hin zu einem exzessiven Herumtrampeln auf diesen Bildern bewegt sich die emotionale Befindlichkeit der BesucherInnen.

Die Photographie bildet dafür eine amalgamierende Rolle. Sie ist bildnerische Basis und Medium der Erzählungen selbst. In vielfältiger Weise verändert Seyler das photographische Bild durch eine Reihe von Eingriffen und Veränderungen. Durch Hinzufügungen von Naturmaterialien und Kombinationen verschiedener Gegenstände, aber auch durch die Verwendung unterschiedlicher Trägermaterialien für die Photoemulsionen wie Transparentoder Packpapiere erweitert sie das photographische Bild hin zu einem Objekt.

Der Bezug zur Natur akzentuiert diesen Prozess weiter, etwa wenn sie Bilder einem längern Verwitterungsprozess im Freien aussetzt und damit das Moment der Zeitlichkeit, das der Photographie per se inhärent ist, sichtbar macht. Als „Zeichenstift der Natur“ bezeichnet der Erfinder der Negativ-Positiv-Photographie Henry Fox Talbot 1840 dieses Bildmedium. In der spezifischen Verschränkung von Natur und Kunst in den Werken von Seyler stellt sich gleichzeitig aber auch die Frage nach der Natur der Kunst als zutiefst menschliches Phänomen. Für Marielis Seyler ist die Kunst damit eine condition humaine!

– Carl Aigner