1.
Die frühen Gedichte Rilkes, die er für Lou Andreas Salomé am Anfang ihrer Begegnung schrieb, waren für Salomé viel zu schwülstig, viel zu begehrend, die Liebe übertreibend: sie erkannte seine dichterische Begabung, aber konnte seinen erotischen Fantasien nicht folgen. Sie schrieb den beruehmten Satz:
„Dem noch nicht Vollendbarem musste Sentimentalität aushelfen“. Rilke hatte damals seine Liebe zu Salome noch nicht realisieren können. Sentimentalität bedeutete ein gefühlsbetontes, Idealisieren des Empfindens, diese Unvollständigkeit auszugleichen.
Weil etwas noch nicht realisiert worden ist, versucht man es emotional aufzuwerten, oder auf zu blasen, obwohl es faktisch (noch) nicht vorhanden ist.
In der Beschäftigung mit der Fantasie über dieses real nicht Vorhandene entsteht ein Lustgewinn,
der diese Fantasie weiter antreibt.
Als Beispiel wird oft zitiert, wie eine unausgelebte Liebe romantisiert wird, obwohl sie nie voll zu Entfaltung kam. Statt die Realität zu akzeptieren, hilft die Sentimentalität: „Ach was hätte doch sein können!“
Die Geschichte von Romeo und Julia gehört hier her. Bei aller Poesie ist sie eigentlich ein Betrug an die menschliche Erfahrung. Wie viel könnten wir lernen, wie diese beiden tatsächlich ein glückliches Paar werden konnten, oder darum ringen mussten.
Salomé konnte den Anfangsgedichten Rilkes nicht folgen. Sie waren ihr zu schwülstig. Er war in der Position des Lächerlichen.
2.
Es gab aber noch einen völlig anderen Grund, weshalb seine anhimmelnden Gedichte, zumindest am Anfang, bei ihr keine erotische Resonanz fanden. Als junge Frau studierte sie Philosophie und war voller Begeisterung über
ihren Lehrer der Philosophie. Ihre emotionale Zuwendung bestärkten ihn, ihr seine Liebe zu ihr zu erklären. Sie fühlte sich völlig missverstanden und brach das Philosophie Studium ab. Nicht viel später ging es ihr mit Nietzsche ähnlich. In ihrer emotionalen Begeisterung für die Philosophie, sahen die Männer immer wieder ihren Eros und ihre weibliche Anziehung zuerst. Es war wie eine Traumatisierung des Selbstwertgefühls, einer philosophischen und künstlerischen Frau.
Ich erlebte dies selber und bearbeitete dies im „Eurydice Projekt“:
Als die Götter Orpheus erlaubten Eurydice aus dem Hades zu fuehren und Orpheus sich obwohl verboten, umdrehte um sie anzusehen, verlor er sie für immer.
Im Gegensatz zu dieser Überlieferung kehrt Eurydice in einer abgewandelten Version eines meiner Projekte, von selbst in den Hades zurück, als sie seinen begehrenden Blick sah, der nicht ihrer Person galt, sondern ihrer Erotik alleine.
3.
So gibt es eine Reihe von Ursachen, das Realitätsprinzip zu missachten. Das Internet mit Sexvideos ist ein extremes Beispiel der Isolation und der Unfähigkeit im Realen zu leben. Aber auch Erstarrung und Gewohnheiten können zu solcher Isolation führen.
Wie kommt man aus diesem Zirkel heraus? Für die Surrealisten war das Spiel ein wichtiges Kommunikationsinstrument. Es ist die Frage wie weit ein Spiel aus diesem Zirkel der Verstärkung der Isolation herausführen kann.
Arthur Schopenhauer hat in seinem Hauptwerk „ Die Welt als Wille und Vorstellung“ sich mit dieser Differenz beschäftigt.
Im nun vorliegendem Schopenhauer Spiel werden die Teilnehmer, je ein Mann und eine Frau, eingeladen, spielerisch zu erkunden, wie weit sie in der Realität sich befinden, oder der Fantasie anheimfallen.
Insgesamt zwölf Karten stehen zur Verfügung,
sechs für die Frau, sechs für den Mann, die gezogen werden können und dadurch Aufschluss über die Nähe zur Realität geben. Mit Würfeln bewegt man sich in der Zeit Dimension des Lebens vorwärts, da sich im Leben alles veraendert. Jeder Spieler hat zwei Chancen: Beim ersten Mal zieht er/sie eine Karte und ist somit durch sein/ihr Schicksal bestimmt. In der zweiten Runde koennen beide versuchen, ihr Schicksal zu wenden und gezielt eine Karte ausswaehlen, um einander naeher zu kommen.
Zu Beginn wird der Altersunterschied beruecksichtigt. Denn je groesser der Altersunterschied, umso weiter befinden sich die Spieler in der Phantasie.
Die Themen der 6 Karten der Frau sind:

Früher sollten meine Liebhaber gescheit sein. Jetzt will ich nur meinen Masseur, den Frenzi Bua. Ich liebe ihn! Ich liebe ihn!
7 Punkte minus

Bitte enthebe mich nur eine Stunde der Moral, denn du weisst es besser, wie ́s geht!
5 Punkte plus

Ich will einen Gigolo haben, der mehr über Frauen weiss, als ich selber!
7 Punkte plus

Sehr schön. Mein Ex-Mann haJe ein Schloss, da spielten auch Leute, wie sie!
3 Punkte minus

Wenn ein Mann mir die Füsse massiert, dann ist es aus mit mir!
3 Punkte minus

Er muss auf einem weissen Schimmel als Prinz vor meine Haustüre kommen. Er muss mir Minnelieder vorsingen und ich schaue weg. Und er muss weitersingen, endlos weitersingen, auch wenn ich wegschaue.
8 Punkte minus
Die Themen der 6 Karten des Mannes sind:

Dante Alighieri und Beatrice
8 Punkte minus

Sind sie Mexikanerin? Bei mir im Haus wohnt auch eine Mexikanerin, die ist auch so schön!
5 Punkt plus

Sie sind so versiert in der Kunst, wollen sie nicht einmal zu mir ins Atelier kommen und meine Arbeiten kommentieren?
3 Punkte plus

Sind sie Künstlerin? Ich treffe mich jede Woche mit Kollegen im Gasthaus zum Krebsessen. Wollen sie nicht einmal dabei sein?
5 Punkte plus

Mir gefaellt auf der Strasse jede Frau. Die hüpfenden Brüste, der erotische Gang!
8 Punkte minus

Sie erinnern mich so an ein Gedicht von Stefan George. Darf ich es ihnen vortragen?
7 Punkte plus
Das Spielbrett:

Wolf Werdigier
Juni 2025 www.produzentengalerie.wien
in Kooperation mit Galerie Lichtraum
Heinrichgasse 2, 1010 Wien
Ausstellung Vernissage Freitag, 13. Juni 19:00 Uhr